Psychodrama- Spieltherapie für Kinder aus suchtbelasteten Familien
. Vielleicht
Sind alle Drachen unseres Lebens
Prinzessinnen, die nur darauf warten,
uns einmal schön und mutig zu sehen.
Vielleicht
Ist alles Schreckliche im Grunde das Hilflose,
das von uns Hilfe will.
-- Rainer Maria Rilke -
Psychodrama- Spieltherapie für Kinder aus suchtbelasteten Familien
„ Ich habe einen Brutalschaden“ Peter, 8 Jahre ;
Eigentlich wollte Peter Totalschaden sagen und einen Vergleich zwischen seinem aggressiven Verhalten und einem Autounfall herstellen, als er uns bei der Aufnahme in eine stationäre Jugendhilfemaßnahme von seinem Leben erzählte. Peters Mutter war seit Jahren stark alkoholabhängig und im betrunkenen Zustand sehr aggressiv. Der Kollege vom Jugendamt berichtete von lebensgefährlichen Situationen und unbeschreiblicher Angst der Kinder.
Die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in suchtbelasteten Familien zeichnet sich durch ein hohes Maß an emotionaler Anspannung und Belastung aus. Die Gefühle in der Familie sind für die Kinder geprägt von Scham und Angst, die mögliche Nichtanerkennung in der Peergruppe, die Insuffizienz im schulischen Bereich, sowie die Furcht vor gesellschaftlicher Stigmatisierung stellen darüber hinaus ein erhebliches Spannungspotential dar.
In dieser Lebenssituation suchen Kinder und Jugendliche nach Auswegen, die sie u.a. in Formen von Gewaltanwendung, Suchtverhalten oder sozialen Isolation finden. Insbesondere in Abgrenzung zur Erwachsenenwelt erscheinen diese vermeindlichen Lösungsstrategien attraktiv, sodass die Einflussmöglichkeiten der Erwachsenen bzgl. einer konstruktiven Bewältigung der skizzierten Suchtprobleme sich zunehmend schwieriger gestaltet.
„Podolski ist mein Held“ Peter, 8 Jahre
In meiner psychodramatischen Arbeit mit Peter und anderen schwer traumatisierten Kindern fiel mir auf und begeisterte mich, wie viel Spaß die Kinder in der Therapie entwickeln können und wie konsequent sie Momente meiden, die Unlust und sogar Leiden für sie beinhalten. Trotzdem ist bei genauem Hinsehen auf ihre Spiele erkennbar, dass sie durchaus an zentralen Konfliktthemen arbeiten und sich erfolgreich entwickeln. Während wir im Alltag mit Peter ernst zunehmende Suizidäußerungen aushielten und bearbeiteten, spielte er in der Gruppe Lukas Podolski , der in der letzte Minute des Spiels das entscheidende Toooor schoss. Und wir wussten, heute wird für Peter ein guter Tag.
Darum hilft Psychodrama
Das Spiel von Kindern ist der Ursprung der Therapiemethode des Psychodramas. Die Mechanismen des Spiels hat Jakob L. Moreno, der Begründer der Methode, zu einer therapeutischen Praxis, erstmal nur für Erwachsene, entwickelt. Die Gruppentherapie mit Kindern wurde erst viele Jahre später in Deutschland von Alfons Aichinger und Walter Holl konzipiert, nachdem sie mit dem Anwendungsversuch der Erwachsenenmethoden bei den Kindern kläglich scheiterten.
Die Kindertherapie unterscheidet sich grundlegend von der Erwachsenentherapie, sowohl von den Methoden als auch von den Anforderungen an die Praktiker. So wenden Kinder andere Kommunikationsformen und –strukturen an als Erwachsene. Das Spiel ist ihr Medium, indem sie sich überwiegend ausdrücken und ihre innere Wirklichkeit inszenieren. Und im Spiel, dem „ Königsweg“ der Kinder, geschieht auch die Aneignung und Gestaltung der Wirklichkeit auf einer symbolischen Weise, die Kindern Spaß macht. Durch die freie Gestaltung der Erfahrung im Spiel gewinnt das Kind wieder an Selbstsicherheit und Kontrollfähigkeit über die Geschehnisse, was einen großen Einfluss auf seine psychische Gesundheit hat. Die bedeutsamste Wirkung der Spielfähigkeit sah Moreno gerade darin, dass das Kind im Spiel seinem eigenen Leben gegenüber wieder die Perspektive des schöpferisch Tätigen gewinnt und Zugang zu seiner Kreativität findet. Daher muss dem Symbolspiel und den Symbolhandlungen in der Kindertherapie als affektiv-kognitiven Freiräumen und Lernfeldern für Kinder ein großes Gewicht zukommen.
Die Gruppe der Gleichaltrigen erlaubt, neue Rollen zu erproben und einzuüben, die nicht durch Alter und Geschlecht wie in der Familie festgelegt sind, und Normen auf ihre Verbindlichkeit hin zu überprüfen. Sie bewirkt durch die Sozialisierung des Kindes im Sinne der Kommunikation und der Kooperation die Überwindung des Egozentrismus und die Stärkung egalitärer Komponenten durch Anerkennung und Ablehnung. Die Gruppe stellt dem Kind die Aufgabe, sein Verhältnis zu den anderen zu bestimmen. Ansprüche müssen geäußert, Absichten angekündigt und in einem Einigungsprozess Normen, Regeln und Sanktionen vereinbart und vielleicht wieder geändert werden. Diese neuen Handlungserfahrungen führen zu einer tiefgreifenden Veränderung des Selbstkonzeptes.
Unser Augenmerk muss sich also besonders auf die nichtsprachlichen Prozesse richten, um die Spielhandlungen analog, in ihrem übertragenen Bedeutungsgehalt verstehen zu lernen und mitspielend darauf zu antworten. Der Gegenspieler von Podolski war Peter auch wichtig, der wurde von mir gespielt und musste die Gefühle der Niederlage ausdrücken, wie so oft von Peter selbst erlebt.
Spielräume schaffen- die Spielanleitung-
Oder, wie die Gruppentherapie in der Praxis aussieht.
Die Vorbereitungsphase der Gruppentherapie umfasst die Abklärung der Indikation für jedes Kind, die Überlegung und Entscheidung hinsichtlich der Gruppenzusammensetzung und den danach zu schließenden Kontakt. Dabei soll herausgefunden werden, ob auch das Kind den Wunsch hat, mit anderen Kindern zusammen zu sein, um besser mit ihnen zurecht zu kommen, und ob eine altersgemäße Fähigkeit, sich auf andere Kinder zu beziehen, geben ist. Darüber hinaus sollte versucht werden die inter- und intrapsychischen Konfliktlage und die Verbindung zur aktuellen Symptomatik des Kindes erfassen.
Für Kinder ab dem achten Lebensjahr sind sechs Kinder eine gute Gruppengröße. Die Kinder sollten ein ähnliches Alter bzw. über einen analogen Entwicklungsstand verfügen. Eine Mischung aus gehemmten und energiegeladenen Kindern ist empfehlenswert, da so voneinander am effektivsten profitiert werden kann.
Ein Gruppenraum von einer Größe von ca. 30 qm, ausgestattet mit Schaumstoffpolster, welche zum Bauen und sitzen verwendet werden können, sollte den räumlichen Anforderungen genügen. Kleinere und größere Kissen, Tücher, Hüte und Baufix sind als Grundausstattung und Spielmaterial völlig ausreichend. Die Gruppe sollte wöchentlich 60 Minuten lang zusammenkommen und möglichst unter konstanter Leitung geführt werden.
Die Initialphase jeder Sitzung beginnt mit einer Stuhlrunde und der Frage, was die Kinder heute gemeinsam spielen wollen. Die Kinder können dann Geschichten vorschlagen. Auch wenn die Spielideen, die die Kinder einbringen, vordergründig nur Themen aus Fernsehnsendungen sind, so haben sie für die Kinder einen tieferen Sinn. Hinter der Fassade von banalen Kulturkonserven können sie ihre individuellen Geschichten, ihre inneren Bilder und Gruppenthemen entwickeln. Die dominanten Entwicklungsaufgaben der Kinder und ihre Persönlichkeitsstruktur mit ihren Bewältigungs- und Abwehrmechanismen bilden dabei den Rahmen und den Filter für die Themenvorschläge.
Die LeiterInnen müssen den Kindern helfen aus den vielfältigen und unzusammenhängenden Themenmaterial eine gemeinsame, sinnvolle Szene zu gestalten. Hier wird ausgehandelt und diskutiert, da Mehrheiten die Suche nach einem Konsens nicht ersetzen.
Nachdem ein Spielthema gefunden wurde, z.B. ZOO, dürfen sich die Kinder selber Rollen aussuchen. Bei bestimmten Rollen, welche mit Machtausübung verbunden sind, muss das Einverständnis der anderen eingeholt werden. Es ist wichtig die Kinder auf die Begrenzung, die mit einer Rolle verbunden ist hinzuweisen. Haben alle Kinder ihre Rollen gewählt, entscheiden sie gemeinsam darüber, welche Rollen die LeiterInnen in dem Spiel verkörpern.
Der ganze Raum wird dann zum Spielraum und je nach Themen aufgeteilt und gestaltet. Das detailierte ausgestalten der Räume, hier, der Käfige, der Futterstelle, des Büros des Zoodirektors und der Krankenstation eröffnet den Kindern weitere Handlungsmöglichkeiten.
Nach dem Aufbau kann die Spielphase beginnen. Im Spiel haben die Kinder die Freiheit zu improvisieren. Die Interaktionsdynamik führt oft zu einem anderen Ablauf und muss nicht mit der ausgehandelten Handlung übereinstimmen. Im Spiel entsteht ein Entwicklungsraum, in diesem potentiellen Raum können die Kinder in der Inszenierung böse Szenen, die sie erleiden mussten, wiederholen und ersehnte Szenen neu gestalten. Sie zeigen seelisch belastende Erfahrungen und verdrängte Gefühle und befreien sich in einer Handlungskatharsis von ihrem Bedrohungscharakter.
Es kommt zu einem Abbau von innerpsychischen Belastungen und zur Ausbildung einer gesunden Selbstannahme. Da das Spiel Spaß macht, können die Kinder immer wieder einen lustvollen Zugang zu ihren vitalen Lebens- und Gestaltungsprozessen finden.
Ziel der Abschlussphase ist es, die Handlung, das Spiel abzuschließen und eine kurze Rückschau auf das Geschehene zu ermöglichen. Die Kinder werden deutlich aus ihren Rollen entlassen um die Symbolebene aufzuheben und die Realitätsebene wieder herzustellen. Die Verkleidung wird abgelegt, die Kulissen abgebaut und in einer kurzen Gesprächsrunde geben die LeiterInnen Rückmeldungen über mutige Rollenwahlen und Feedbacks.
Als „Air Jorden“ im Hunsrück war, oder war es der Yeti?
In einer Fortbildungsveranstaltung im Hunsrück wurde im letzten Jahr das Kinderpsychodrama vorgestellt. Und wie stellt man die Themen am Besten dar? Natürlich indem gespielt wird, wie es Kinder tun. Ca. 20 KollegInnen aus der Suchtberatung spielten gemeinsam eine abenteuerliche Himalayaexpedition ohne Sauerstoff, die in Bergnot geriet und von mutigen Ärzten und Hubschrauberpiloten gerettet wurden, und dabei noch den Yeti fand.
Diese pädagogische, psychodramatische Spielanleitung eignet sich zum Einsatz in Schulklassen, in denen soziales Lernen im Vordergrund steht.
Auch das Heldenspiel wird zur Ich- Stärkung von Kindern und Jugendlichen eingesetzt. Hier erinnere ich mich noch den Kollegen, dem in der letzten Sekunde des Basketballendspiels der entscheidenden Wurf gelingt, und an das leuchten in den Augen der TeilnehmerInnen bei dieser Wunschszene.
Natürlich haben wir auch ZOO gespielt und die Psychodramagruppentherapie am eigenem Leibe erfahren und die dazugehörige Theorie erklärt, denn…
Kinder sollte man versuchen spielend zu verstehen.
Stefan Flegelskamp
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