Reisebericht aus Gaza
Ein Reisebericht von Stefan Flegelskamp
Der Flug von Frankfurt am Main nach Tel Aviv war die erste Etappe, um nach Gaza, diesen unwirtlichen Landstrich, der zwischen Ägypten und Israel dicht ans Mittelmeer gedrängt liegt, zu gelangen. Die direkte Einreise in den Gazastreifen am Grenzübergang Eriz ist nochmal eine eigene Geschichte, die die innerdeutsche Vergangenheit wachruft. Doch die Reise beginnt früher:
In der ersten Mai-Woche 2012 haben Agnes Dudler und ich die Psychodramatikerin und Psychoanalytikerin Ursula Hauser und Maja Hess, Ärtzin und Präsidentin von Medico International Switzerland in den Gazastreifen begleitet und sie bei ihrer dortigen Arbeit unterstützt. Auf der Fepto-Konferenz 2011 in Israel warben beide um internationale Unterstützung bei der Psychodrama-Weiterbildung von palästinensischen Psychotherapeuten im Gazastreifen. Die schon früher im Szenenrat entwickelte Zukunftsvision, in internationalen Hilfsprojekten psychodramatisch tätig zu werden, konnte plötzlich real und lebendig werden. Also zögerten Agnes und ich nicht lange und sagten unsere Unterstützung zu.
Ursula und Maja haben zehn Jahre lang in Gaza Psychodramatherapeuten ausgebildet und 2008 erfolgreich graduiert. Die neuen arabischen Psychodramakollegen und -kolleginnen brauchen nun Supervision und Unterstützung, vielleicht sogar beim Aufbau eines eigenen arabischen Institutes.
„You are welcome!“
Wie oft habe ich diesen Satz in der Woche gehört, fast schon beschämend, wenn ich bedenke, wie wir mit Fremden umgehen. Die herzliche Gastfreundschaft, die uns überall in Gaza entgegen gebracht wurde, hat mich fasziniert.
In der Vorbereitung auf die Reise haben wir mit Protagonistenarbeiten mit schweren traumatischen Inhalten gerechnet. Die Realität war eine andere. Wir wurden Zeugen von palästinischen Psychodramatherapeutinnen, die uns zeigten, wie sie psychodramatisch mit der Samuoni Familie arbeiten. Diese in Gaza sehr bekannte Familie hat bei der letzten Intifada über 30 Menschen verloren.
„Free man – Gentleman“
stand auf dem T- Shirt eines jungen Mannes, als wir tief beeindruckt das Haus der Familie Samuoni verließen. Nach dem Verlust so vieler Familienmitglieder hätte ich eher mit Hassparolen oder ähnlichem gerechnet, aber ich fragte mich auch, wer arbeitet mit den Männern der Familie?
Die Kolleginnen haben eine ressourcenorientierte Reise nach Mekka inszeniert und 20 muslemische Frauen sind psychodramatisch mitgereist. Dieses Bild werde ich wohl nicht mehr vergessen.
In der ersten Supervisionsanfrage der Gruppe wurden traumatisierte Kinder und die erlebte Ohnmacht der Therapeuten in der Arbeit mit ihnen dargestellt. Glücklicherweise betraf diese Problematik mein Spezialgebiet, die Gruppentherapie mit traumatisierten Kindern. Schnell konnten einige Grundzüge von der in Deutschland von Alfons Aichinger entwickelten Methode angespielt und verdeutlicht werden. Mit dem Ergebnis und der Verabredung, im nächsten Jahr ein Kinderpsychodramaworkshop in Gaza anzubieten, da viele Kinder immer wieder Krieg, Märtyrer und Helden spielen wollen.
„We go ahead“
Wir machen weiter, sagten uns die Menschen dort immer wieder, auch wenn die Aussichten ungewiss und trübe sind.
Wir auch! Agnes reist im November mit Gaby Stiegler in den Gazastreifen zur Supervision der Gruppe, Ursula und Maja sind im Frühjahr wieder da und ich im Frühsommer. Damit wollen wir verdeutlichen, dass die neuen palästinensischen KollegInnen Teil einer psychodramatischen Gemeinschaft sind. Wir danken dem DFP e.V. für die finanzielle Unterstützung bei den Reiskosten. Ein kurzer Film ist im Schweizer Fernsehen zu unserer Reise erschienen.
Einige Eindrücke aus Gaza
Agnes und Stefan durch die Sicherheitszone nach Gaza unterwegs
Einführung ins Kinderpsychodrama
in Gaza City am Strand mit Ursula Hauser und Maja Hess
wohl die erste Einführungs ins PD auf Arabisch
und die Autorin Enas, mental health worker beim Gaza Mental Health Center und begabte Psychodramatikerin
Psychodrama follow up mit den Frauen einer 2008 schwerst traumatisierten Familie, mit denen Enas und Ensharah aus der Gaza PD-Gruppe knapp zwei Jahre lang gearbeitet haben, teils im Zentrum, teils, wie hier, im Wohnraum einer der (Groß-)Familien. Wir konnten diese Sitzung miterleben. Sie haben ihre Lebensfreude wiedergewonnen und sagen: dank Psychodrama.
Der Hocker mit dem Gebetsteppich symbolisiert die Kaaba in Mekka. Dahin sind im Spiel alle gepilgert, teils kichernd, teils sehr bewegt.
Dieser Beitrag ist ursprünglich für das Szenen-Institut verfasst worden.
siehe: www.szenen-institut.de/institut.php
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