Pädagogisches Psychodrama in der UNIVERSIDAD EVANGÉLICA NICARAGUENSE „MARTIN LUTHER KING“ in Managua (1995)

Wenn Wort auf Leben trifft

von Friedel Geisler; Managua, Nicaragua 1995

 


Ein Nachwort auf Friedel Geisler


 

Einführung

Als ich 1995 nach Nicaragua reiste, um dort  an der  UNIVERSIDAD EVANGÉLICA NICARAGUENSE „MARTIN LUTHER KING“ (UENIC) in Managua  als Dozentin eine der Postgraduierungen zu übernehmen, hatte ich bereits viele Auslandserfahrungen. In dieses Land war ich während der Regierungszeit der Sandinisten 5 mal als Präsidentin des Vereins Städtefreundschaft Solingen mit Jinotega gereist. Aber der eigene Lehrauftrag stellte eine neue Herausforderung dar. Es sollte darum gehen, das Psychodrama als Verfahren an Menschen zu vermitteln, die eine international anerkannte Qualifizierung in Sozialarbeit erwerben wollten. Eingesetzt werden sollten sie als StadtteilarbeiterInnen im Auftrag der verschiedenen Freikirchen und der evangelischen Kirche. Sie hatten gemeinsam  die neue Universität gegründet

 

Politische Situation

Das kleine mittelamerikanische Land Nicaragua war fünf Jahre nach der Ablösung der gescheiterten sandinistischen Partei in einer ungeheueren Umbruchphase. Die neue neoliberale Regierungspartei hatte mit jeder Unterstützung der USA auch die Verpflichtung übernommen, sich wieder an die hegemoniale  Politik des Westens anzuschließen. Arbeitslose, Straßenkinder,  jugendliche Diebe machten Straßen und Märkte in der Hauptstadt wieder unsicher. Auf der anderen Seite hatten sich viele Nicaraguense in den Jahren der Revolution politisiert und gebildet. Sie waren auch jetzt in vielen Initiativen tätig, oft ohne einen vorzeigbaren Abschluss. Die Menschen waren nicht mehr die stumme ausgebeutete Masse, die sie Jahrhunderte und zuletzt unter  dem despotischen Somozaclan  gewesen war.

     Die evangelischen Freikirchen  vor Ort wollten mit ihrer Universität  für den Anschluss an den Weltmarkt so viele junge Menschen mitnehmen, wie es ihnen möglich war. Es sollte auch solchen möglich werden, die die hohen Gebühren an der staatlichen Universität nicht aufbringen konnten. So entwickelten sie in mehreren Disziplinen Postgraduierungen, die auch nicht akademisch Gebildeten über verschiedene Module zu Beruf und Lebensunterhalt helfen sollten. Es gab bereits die Fachbereiche Informatik, Verwaltungswissenschaft und Betriebswirtschaft für Genossenschaften und Wirtschaftswissenschaften.   

Rektor der neuen Universität Dr. Wolfgang Bautz vom Deutschen Entwicklungsdienst DED hatte mich schon bei meiner letzten Reise begleitet. In seiner Familie sollte ich nun zu Gast sein. Meine Auftraggeber, das 6-köpfige Leitungsgremium der UENIC hatte mich für den neuen  Studiengang „Sozialarbeit und Diakonie“ vorgesehen. Sie wollten meine Arbeit unter dem Titel „Bibliodrama“ ausschreiben. Natürlich verbanden sie damit neben der klassischen Sozialarbeit auch einen psychodramatischen Umgang mit biblischen Themen.

 

Was brachte ich mit

Als Ausbilderin im Psychodrama am Psychodrama Institut für Europa und durch meine Studium geübt im Umgang mit biblischen Texten, als Supervisorin in vielen sozialen Einrichtungen verfügte ich fachlich über die nötigen Qualifikationen. Für das Ganze in Spanisch fühlte ich mich nicht kompetent genug. Da ich gerne im Tandem arbeite, warb ich mit Erfolg um die Mitarbeit von Birgit Ullrich*.  Birgit schätzte ich sehr von der Teilnahme an ihren Sprachkursen mit Sprachpsychodramaturgie (Defue 1993).

Damals hatten wir uns versprochen, diese „maßgeschneiderte Form des Spracherwerbs“, in der trotz fehlender Wörter fließendes Sprechen möglich ist, in Managua einsetzen. Weil Birgit in der Psychodrama Ausbildung Leitungspraxis brauchte, konnten wir uns auch die Leitung  teilen.

         Für einen Antrag auf Fördergelder beim Deutschen akademischen Austauschdienst  DAAD erstellten wir ein Förderprogramm unter der Bezeichnung „Pädagogisches Psychodrama“*. Das Lehrvorhaben wollten Prof. Dr. Lothar Nellesen und Dr. Bernhard Achterberg von der Gesamthochschule Kassel Fachbereich Erziehungswissenschaften und Sozialwesen wissenschaftlich zu begleiten. Der Antrag wurde leider abgelehnt.

 

Lehren und Dolmetschen mit Sprachdramaturgie

Im April 1996 reisten Birgit Ullrich und ich für einen 14-tägigen Vorkurs im neuen Studiengang des Fachbereichs „Sozialarbeit und Diakonie“ die Vorarbeiten für eine Postgraduierung zu treffen. Eine Gruppe von 8 Teilnehmenden hatte sich eingeschrieben. Mit ihnen wollten wir unser Trainingsprogramm der Leitung und den zukünftigen Studierenden vorstellen. Keiner hatte einen vorweisbaren Schulabschluss. Aber alle haten in den Jahren der Revolution in verschiedenen Projekten gearbeitet. Der Mut zu Neuem war den sieben Frauen und dem Mann nicht verloren gegangen. Wenn die Frauen morgens um 10 Uhr zum Kurs erschienen, hatten einige schon für das Mittagessen vorgekocht, kleine Gebäcke bereitet für den Straßenverkauf ihrer Kinder und die Hütte geputzt. Sie waren  mindestens eine Stunde mit dem Bus angereist. Aber sie erschienen in  bester Stimmung und stiegen ohne langes Fackeln in den Prozess ein. Leones kam von seinem Alphabetisierungskurs. Nur wir Europäerinnen  kämpften mit der Hitze und Scharen von Wespen, in den Händen riesige Wasserflaschen.

         Eine solche Spielfreude und Dramatik hatte ich bisher noch nicht erlebt, wie in dem Kurs mit den Latinos Die Anwärmphase bestand meist aus einem Lied, das die Frauen intonierten. Immer kam dabei der ganze Körper zum Einsatz. Wir arbeiteten dann straff und konzentriert, war doch die Zeit für alle sehr kostbar. Die kleinen Teilnehmerbeträge  haben sich manche abends mit Waschen oder Putzen auch noch verdient.

         Mit biblischen Szenen begannen wir. Den Transfer in die Gegenwart und den Auftrag für die Straßensozialarbeit konnten wir nur anreißen. Aber die Frauen fanden begeistert: „Das haben wir bei Dorothee Sölle auch so gehört“.  In der Prozessanalyse erschlossen wir gemeinsam die ersten Lernschritte.    

        Birgit und ich wechselten uns ab. Leitete sie hörte und sah ich in Spanisch, was geschah und bekam so im Sprechen und Hören die Grammatik „als Output“. Das Fehlende im Verstehen übersetzte mir Birgit jeweils unmittelbar danach. Leitete ich, stand Birgit hinter mir und gab die jeweils fehlenden Worte ein. Sie fühlte sich in meine Gedanken ein, wie auf der Psychodrama-Bühne das Doppel. Es ist ein Sprachdoppeln, das Einfühlung und hervorragende Sprachkenntnisse erfordert.  Diese maßgeschneiderte Form des Spracherwerbs macht ein fließendes Sprechen trotz fehlender Wörter möglich.  Meine Partnerin konnte sich hervorragend in meine Gedankenfluss einfühlen Wir wuchsen als Leitungspaar immer mehr zusammen. Fehler im Sprechen brachten mich jeweils einen großen Schritt weiter. Was für meine Trainings  und die Supervision die Fehlerfreundlichkeit bedeutet, fand ich für Sprache lernen bei Dufeu so formuliert: "Irrtum muss sein, er trägt nicht nur zur Erkundung der Eigentümlichkeiten und Grenzen der Fremdsprache bei, er ist ein unentbehrlicher Bestandteil des Spracherwerbs" (S. 129). So teilten wir uns unsere Talente: Birgit trainierte das Leiten und ich das Spanisch. Am Ende inszenierten wir ein „Orakel“, um den vielen Fragen aus der Gruppe einen spielerischen Charakter zu geben. Dabei verschwanden wir hinter einem Vorhang.Wir wussten nicht mehr, wer von Euch jeweils geantwortet hat,“ behaupteten unsere Teilnehmenden. Das  bestätigte uns in unserer Einschätzung, dass wir wirklich zu einer Zweiheit in Leiten und Sprechen geworden waren. Ich war mir sicher, dass ich mit dieser Form des Sprachelernens wenn es sein musste, nach einiger Zeit auch allein weiterarbeiten konnte.

 

Ein hoffnungsvolles Projekt, aber die politischen Umstände hielten dagegen

Zwar bekamen wir von dem  Deutschen akademischen Austauschdienst eine Absage. Der damalige Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland D. Dr. phi.l h.c. Peter Beier[1] gewährte uns im August 1996 aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln einen einmaligen Zuschuss von  5.000,00 DM. Bestimmt hätten wir auch weitere kirchliche Gelder einwerben können

Es blieb für uns im Nebel, warum trotz des gut gelungenen Schnupperkurses uns der Start nicht gelang. Aber der deutsche Direktor und seine nicaraguanische Partnerin trugen vielleicht stellvertretend den politischen Konflikt zwischen den ehemals revolutionären Sandinisten und der neuen Rechten an der Regierung aus. Soviel wurde jedenfalls klar, dem unter der Revolution eingesetzten Wissenschaftler des Kirchlichen Entwicklungsdienstes DED Dr. Wolfgang Bautz  wurde die Leitung der Universität vonseiten des nicaraguanischen Leitungsgremiums in diesem Jahr entzogen. Dem fielen auch alle von ihm nach dem Umbruch bereits begonnenen Projekte zum Opfer. Unser Kurs für Stadteil-Sozialarbeit  gehörten dazu. (Geisler 2005)

 

Dufeu, Bernard (1993) Die Sprachpsychodramaturgie. In Bosselmann. R.  et al (Hg) Variationen des Psychodramas. Meezen 

Geisler, Friedel (2000): Zwischen Kulturen und Welten – Soziodrama nur ein Arrangement der psychodramatischen Bildungsarbeit? In: Wittinger, T. (Hg.). Psychodrama in der Bildungsarbeit. S. 205 - 224. Matthias-Grünewald-Verlag. Mainz.

Geisler, Friedel (2005): Wider den egozentrischen Individualismus unserer  Tage (S 165ff). In: Wittinger, T (Hg.).Handbuch Soziodrama, Die ganze Welt auf der Bühne


[1]  Präses D. Dr. phil. H.c. Peter Beier. Die Spende ging an das Centro Ecuménico Antonio Valdeviesu CAV.