Soziometrisch-psychodramatische Suchttherapie

METHODIK UND ZIEL SOZIOMETRISCH-PSYCHODRAMATISCHER THERAPIE DER SUCHTMITTELABHÄNGIGKEIT

Dies ist ein Versuch, das Eigene einer solchen Suchttherapie in sieben Thesen zu skizzieren, ergänzt durch einen Umschreibungsversuch in bildhafter Alltagssprache. Mit diesem zugegebenermaßen umständlichen Titel will ich Morenos originäre Impulse für eine zeitgemäße Suchttherapie wieder aufnehmen, um mich damit an der nötigen Diskussion über Qualitätsstandards in der Suchttherapie zu beteiligen.

Für mich unterscheidet das soziometrische Psychodrama von anderen Psychotherapieformen unter anderem dies:

  • die Betonung der Gruppe als notwendiges therapeutisches Agens in der Suchttherapie,
  • das Experimentelle und die Zukunftsgerichtetheit als dem soziometrischen Psychodrama eigene Element,
  • dass der Gruppentherapeut mit einigen Rollenanteilen als Gruppenmitglied gilt (dies zu verneinen, wäre - analytisch gesprochen - eine Verdrängung !).

S I E B E N   T H E S E N

1. Die Therapiegruppe erforscht, unterstützt von der TherapeutIn, mithilfe soziometrischer und psychodramatischer Techniken wie dem Rollentausch die Genese der Abhängigenrolle ihrer Mitglieder im Kontext ihrer übrigen Rollenentwicklung in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter (der analytische Aspekt).

2. Dabei ist die Gruppe soziales Experimentierfeld: in ihrem Schoße wird von überholten Rollen und Rollenverstrickungen Abschied genommen, neue werden ausprobiert und auch trainiert, die sich aktuell bildenden Beziehungsnetze und Interaktionsmuster in der Gruppe und "draußen" werden erforscht, verändert oder stabilisiert (verhaltenstherapeutischer, systemischer und gruppendynamischer Aspekt).

3. Der/die PsychodramaleiterIn sind Therapeut, Fachmensch für Humanwissenschaften und Modell für entwickeltes und kongruentes Rollenverhalten. Sie sind Teil des fantasierten und des realen Beziehungsnetzes in der Gruppe (Aspekte des Modelllernens).

4. Psychodramatisch-soziometrische Suchttherapie ist nicht nur eine Einladung zur Regression (vgl. Doris Simonsen, Abhängigkeit und Loslösung, Freiburg 1990) und damit zum Rollentausch mit dem Kind in sich, sondern auch eine ebensolche zur Progression und damit zum Rollentausch mit der internen Erwachsenen-Imago. Darum ist nicht nur die Deutung von Träumen angesagt, sondern auch ihre Produktion: Zukunftsprojektionen und Utopien heilen (Kreativitätsaspekt).

5. Psychodramatisch-soziometrische Suchttherapie experimentiert auch mit der Hemmung der Spontaneität als einem suchtauslösenden Faktor und will die spontanen und kreativen Energien des Einzelnen erneuern, um seine Abhängigkeit langsam aufzulösen (der wichtige "künstlerische" Aspekt des Psychodrama: der Mensch als Schöpfer und als Gott-Spielender).

6. Projektionen verwandeln sich in der Gruppe in Realbeziehungen. Im Netz der realen, aber geschützten Begegnungen bedingen sich das Wachstum der Gruppe und ihrer Mitglieder gegenseitig. Gruppe und Psychodramabühne werden zur Probebühne des Lebens (gruppendynamischer und zugleich existenzphilosophischer Aspekt des Psychodrama).

7. Psychodramatische Suchttherapie "mythologisiert" das Suchtmittel zu einer lebendigen Person mit eigenem, starken Willen und Verführungsmacht, behandelt es nicht als eine tote Sache. Das entspricht i.Ü. auch dem Erleben der Abhängigen; die Flasche etwa wird wie eine besitzergreifende Frau erlebt. D.h. die Spaltung im Abhängigen wird auf der Psychodramabühne maximiert, um zu einer Integration zu kommen (der im Realsinn psychodramatische Aspekt des Psychodramas).

F A Z I T

Soziometrisch-psychodramatische Suchttherapie will den Abhängigen helfen, sich real das geben zu können, was sie im Suchtmittel immer schon finden wollten, nämlich das EINS-Sein, und dabei die Unvollkommenheit dieses Prozesses lächelnd und selbstempathisch zu bejahen.

Kommunikation, Erfolg, Gemeinschaft, Entgrenzung, ein mächtiges ICH: alles ist zu finden, aber in der "banalen" Altagsrealität der Gruppe und des Lebens überhaupt. Eine Halluzinose erfüllt sich, ähnlich wie im Märchen "Vom Fischer un siner Fru".

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EIN VERSUCH, DIES IN ALLTAGSSPRACHE ZU SAGEN

INDIVIDUUM

  • unterwegs sein
  • sich auf Begegnungen einlassen
  • Rollen erproben, Gefühle erproben, Vater-Mutter-Kind spielen
  • sich von den anderen anschauen lassen
  • im Spiegel der Gruppe den Schatten des Abhängigen schauen und dahinter das Licht des Neuen erahnen

THERAPEUT-IN

  • Begleiter & "Hebamme"
  • Vorbild
  • Animateur & SpielleiterIn
  • Fachmensch für Humanwissenschaften

DIE GRUPPE

  • die trockene Kneipe
  • die anders-gefüllte Spritze/Tablette
  • das Sprungbrett ins trockene Leben
  • die Wahlfamilie: geben & nehmen & mitfühlen

PSYCHODRAMA

  • trockener Rausch
  • Rückkehr in die Kindheit und Vorauskehr zum Erwachsen-Werden
  • kindliche Verwandlungs- und Erkundungslust in erwachsener Gestalt
  • Welt - Spiel

alle  v i e r  E b e n e n zusammen gesehen:

eine Rückkehr in die Zukunft und eine Zukunftsreise in die Vergangenheit, um in der Gegenwart endlich frei von Gier ankommen zu können !

Thomas Schöpel (Diplompädagoge, Suchttherapeut, Psychodramaleiter-DFP/DAGG)